JAMIE CULLUM – Bei seinen Auftritten hält es keinen auf den Stühlen. Jamie Cullum haut nicht nur in die Tasten, als ob es kein Morgen gäbe, er springt auch mal gerne auf das und von dem Piano. Und stilistisch kennt der Brite sowieso keine Grenzen, locker und frech mixt er Jazz mit Pop, fügte mal eine Prise Fusion hinzu, dann wieder einen Löffel Rock. Der 35-Jährige, der schon als Jugendlicher in Bars und Clubs spielte, so ein Literatur- und Filmstudium sowie sein erstes Album finanzierte, erzählt, wie er lernte, das Piano zu lieben.
Jamie, du spielst mehrere Instrumente. Aber das Klavier spielt, nicht nur auf der Bühne, bei dir eindeutig die Hauptrolle. Warum?
Das Piano ist ein enorm vielseitiges Instrument, aus dem du alles rausholen kannst – feinste Singer Songwriter-Geschichten, Beat und Pop, knackiger Jazz oder orchestrale Klassik. Und da ich mich nie auf ein Genre festlege, immer musikalisch mache, wozu ich gerade Lust habe, war klar, das ist mein Medium. Ich habe allerdings etwas gebraucht, um das zu erkennen.
Du hast dich erst einmal eine Zeit lang der Gitarre zugewandt. Aus welchem Grund?
Eigentlich begann alles mit dem Klavier. Als ich acht, neun Jahre alt war, spielten meine Eltern zusammen mit meinen Großvater und meinem Onkel in einer Cover-Band, „The Impacts“. Ich war eine Zeit lang dort der junge Mann am Klavier. Aber ich habe das schnell wieder an den Nagel gehängt. Man musste einfach zu viel üben, das nervte mich. Die Gitarre machte mich danach mehr an, ich fand Eddie van Halens Solo auf Michael Jacksons „Thriller“ genial. Das wollte ich auch können. Also haute ich wie besessen in die Saiten. So zwischen 12 und 14 Jahren war ich totaler Fan von Bands wie Soundgarden, AC/DC, Nirvana, ich hörte viel Grunge und Heavy Metal. Erst später fand ich wieder zum Piano zurück. Vielleicht brauchte ich dafür auch eine gewisse Reife.
Wann hast du dich wieder für die Tasten, die dir heute die Welt bedeuten, interessiert?
Das war so im Alter zwischen 14 und 15. Ich beschäftigte mich mit Hiphop – und darüber entdeckte ich den Jazz, der ja oft dort gesampelt wird. Außerdem gab es in meiner Familie eine schöne Sammlung an allerlei Jazzplatten. Das wiederum führte mich zu Künstlern wie Herbie Hancock, der mich fürs Jazz-Piano begeisterte. Ich habe mich dann auf eine Reise durch die Geschichte des Jazz und seinen unterschiedlichen Richtungen begeben, entdeckte Dr. John oder wie Oscar Peterson und Thelonious Monk das Klavier behandelten. Wow! Dann wieder als Gegensatz dazu Count Basie mit seinem reduzierten Spiel oder Ahmad Jamal. Und natürlich hörte ich die Keith Jarrett, John Taylor oder Brad Mehldau mit ihrem komplexeren Ansatz. Darüber lernte ich das Piano zu lieben, weil ich erkannte, zu was es im Stande ist. Ich stand nicht mehr vom Klavierhocker auf …
Hast du die Titel der Jazzgrößen geübt?
Ich habe zunächst vor allem genau hingehört, es waren die komplizierten Akkorde, die mich richtig heiß machten. Wenn ich eine erhöhte Undezime, also ein Intervall über elf Tonstufen, entdeckte, oder ein Akkord mit verminderter Note, wurde ich sofort hellhörig – das klingt unglaublich geheimnisvoll, dunkel, faszinierend. Ich habe es analysiert und auf dem Klavier ausprobiert.
In Konzerten testest du gerne aus, was ein Piano so aushalten kann, steigst ihm auf das Gehäuse oder trommelst darauf herum …
So ein Instrument kann ganz schön viel ab. Aber im Gegensatz zu anderen Instrumenten gibt es vor dem Piano mitunter noch viel Ehrfurcht. Es ist teuer, muss sorgsam behandelt werden, hat die Aura des großen klassischen Konzertsaals. Alles schön und gut. Aber wenn ich Kindern, die Klavier spielen oder es lernen wollen, etwas mitgeben will, dann das: Habt keine Ehrfurcht, traut euch was mit und auf dem Piano, improvisiert, haut auf die Tasten, habt Spaß. Ich will ihnen zeigen: Du kannst mit diesem Instrument auch mal Mist bauen – und ich meine Mist bauen. Es hält es aus!
Du spielst gerne auf Yamaha-Flügeln. Sind die besonders strapazierfähig?
Ich behandle alle Flügel gleich! Nun im Ernst: Der Yamaha passt einfach am besten zu meiner Musik und meiner Art zu spielen. Ich bin Grenzgänger, mixe gerne Jazz, Pop und Rock durcheinander. Ich brauche keinen Flügel, der allein wie ein ganzes Orchester klingt, sondern eher einen klareren, leichteren Klang. Dafür ist der Yamaha ideal. Mit mir auf der Bühne steht ja noch eine Band – und ich bin ein Teil dieser Geschichte. Das ist was anderes bei einem Herbie Hancock, der grandios allein mit Wayne Shorter jammt. Mein Konzept ist ein anderes. Wenn ich es mit Literatur vergleichen darf, dann würde ich es so formulieren: Das eine ist wie Tolstoi zu schreiben und das andere gleicht im Stil einem Hemingway.
Das Interview mit Jamie Cullum wurde von Petra Mosbacher-Dix bei einer der vergangenen Editionen der Jazz Open geführt. Die Fotos stammen von Wolf-Peter Steinheisser und der Artikel ist in der ersten Auflage unserer Piano-Post erschienen. Auch in diesem Jahr haben Sie die Möglichkeit, Jamie Cullum wieder live bei den Jazz Open Stuttgart zu erleben, welche vom 07.07.2022 bis 17.07.2022 stattfinden. Neben den großen Bühnen am Stuttgarter Schlossplatz und dem Alten Schloss, werden auch Konzerte im BIX Jazzclub am Rathaus sowie der Spardawelt stattfinden. Um die Jazz Open Stuttgart möglichst allen zugänglich zu machen, wird es auch wieder Open Stages geben. Mehr Informationen finden Sie auf der Website der Veranstalter.