Der Flügel – Das Herz des Studios

VON DEN BEATLES BIS FREDDIE MERCURY

In den Londoner Trident Studios nahmen die Großen der Popkultur am C. Bechstein Platz.

Aufnahmestudios gelten heute als kreative Biotope, als Spielplätze für Musiker, die sich hier nach Herzenslust austoben dürfen. In den Sechzigerjahren war das anders. Selbst in den berühmten Abbey Road Studios ging es damals steif und konservativ zu, fast wie in einem viktorianischen Institut, bevölkert von Tontechnikern in weißen Laborkitteln, mit Clipboards unter den Achseln. Zeit war Geld und deshalb notorisch knapp. Wer ein Album aufnehmen wollte, übte vorher jedes Detail, um die Songs im Studio dann in einem Rutsch einzuspielen, fast wie bei einem Live-Konzert.

Von einer ganz anderen Art Studio – so swingin’ und easy, wie das London jener Tage – träumte Norman Sheffield, als er 1968 mit seinem Bruder Barry die Trident Studios eröffnete. Norman war selbst Musiker, hatte schon als 19-jähriger für Cliff Richards getrommelt, und neben profunden musikalischen Kenntnissen verfügte Sheffield auch über einen untrüglichen Sinn fürs Geschäft. Ihm war klar: Kreativität braucht optimale Bedingungen. Einen Ort, an dem sich Musiker wohl fühlen, wo sie die neuste Technologie und die besten Instrumente vorfinden. Angesiedelt im Londoner Stadtteil Soho, zwischen Clubs, Plattenläden, hippen Boutiquen und exotischen Restaurants. Denn am Ende, davon war der britische Entrepreneur überzeugt, würde sich das für alle Beteiligten auszahlen.

Das Herz und Centerpiece des Studios war ein hundert Jahre alter, handgefertigter C. Bechstein-Flügel. Ein Statement – genau wie die damals revolutionäre 8-Spur-Ampex-Bandmaschine, das brandneue Dolby-System, oder die bis heute legendäre Trident-A-Range-Konsole. Entsprechend gut liefen die ersten Monate für Trident – mit „My Name Is Jack“ von Manfred Mann wurde schon nach wenigen Wochen ein Nummer-1-Hit produziert.

Seine erste große Bewährungsprobe erlebt das Studio am 31. Juli 1968: Die Beatles kündigten sich an um „Hey Jude“ aufnehmen. An den beiden Tagen davor hatten sie den Song 25-mal in der Abbey Road eingespielt – ohne davon wirklich überzeugt zu sein. Auch wegen der Umstände: Paul und John fingen an zu streiten, ein Fernsehteam wollte unbedingt die Aufnahmen filmen, während sich draußen immer mehr Fans versammelten. Die Nerven lagen blank, also flüchtete die Band zu Trident. Eine Riesen-Chance, für die Sheffield-Brüder und ihr junges Team. Um die Stimmung aufzuhellen, wird das Studio mit Marihuana-Pflanzen dekoriert, auch der Duft von Räucherstäbchen liegt in der Luft. Sichtlich entspannt setzt sich Paul McCartney an den großen C. Bechstein Flügel und legt los: „Hey Jude, don‘t make it bad. Take a sad song and make it better“. Es läuft so fantastisch, dass Ringo mitten in der Aufnahme des siebenminütigen Songs mal eben schnell zur Toilette huscht. Das Intro von „Hey Jude“ ist lang – doch nicht endlos. Die Techniker im Kontrollraum werden nervös. In letzter Sekunde taucht Ringo wieder auf, klettert hinters Schlagzeug und spielt präzise seinen Einsatz. Alle sind happy und die Beatles kommen danach immer wieder vorbei, um eigene Songs aufzunehmen, oder um Künstler des frisch gegründeten Apple-Labels zu produzieren.

Es dauerte nicht lange, da stand ein Junge mit wilden langen Locken in der Rezeption des Studios, unter dem Arm ein arg zerfleddertes Exemplar von Tolkiens „Der kleine Hobbit“. Der Name des Jungen: Marc Bolan. Der New Yorker Produzent Tony Visconti hatte ihn mitgebracht, er begleitete fortan bei Trident die Karriere von Tyrannosaurus Rex, die schon bald – mit neuem Bongo-Spieler und sehr viel Glitzer im Haar – zu T. Rex wurden.

Es war der Beginn eines langen, glamourösen Reigens, quer durch die Popund Rock-Musik der Siebziger. Tony Visconti schleppte bald schon einen neuen, vielversprechenden Schützling in die Trident Studios. Was würde besser zum Jahr der Mondlandung passen als ein Song namens „Space Oddity“? „Ground control to Major Tom“, singt David Bowie mit unverwechselbarem Vibrato in der Stimme und sieht dabei aus wie ein vom Himmel gefallener Alien. Visconti produziert zwar das Album, doch den Song „Space Oddity“ mag er nicht. Der Mittelteil erinnert ihn an Simon & Garfunkel, der Gesang an John Lennon: „Das bist nicht du!“ hält er dem Künstler vor. Vier weitere Alben von Bowie entstehen in der ersten Hälfte der Siebziger bei Trident, darunter der Klassiker „The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars“. David Bowie hält Tony Visconti bis zum letzten Album „Blackstar“ die Treue.

Alle, wirklich alle, geben sich nun in Soho die Klinke in die Hand und nehmen am C. Bechstein Platz: Lou Reed nimmt „Transformer“ auf (produziert von David Bowie), Supertramp ihren kommerziellen Durchbruch „Crime of the Century“. Genesis sind Stammkunden und spielen insgesamt sieben Alben bei Trident ein, erst mit Peter Gabriel als Sänger, dann mit Phil Collins. Harry Nilsson besteht bei den Aufnahmen zu „Schmilsson“ auf lange weiße Vorhänge, die überall im Studio aufgehängt werden. Auch „a fair bit of booze“ muss immer in seiner Reichweite sein. Der Aufwand lohnt sich: „Schmilsson“ gilt bis heute als Meisterwerk, „Without You“ sichert Nilsson 1973 einen Grammy für die beste männliche Gesangsperformance im Pop. Auch Elton John begründete bei Trident seine Weltkarriere. Nie klang der C. Bechstein-Flügel klarer, perlender und voller als bei „Your Song“ einem der ewigen Klassiker des exzentrischen Superstars.

Es läuft für die Sheffield-Brüder. Während die Siebziger voranschreiten, entwickeln sie neben dem Trident Studios noch eine Reihe weiterer musikalischer Geschäftsfelder und Firmen. Beim Management-Ableger Neptune Productions – der Dreizack ist scheinbar immer dabei – ist nun auch eine junge Band namens Queen unter Vertrag. Während das Management nach einer geeigneten Plattenfirma sucht, können die Musiker um Freddie Mercury bereits die Möglichkeiten der Studios nutzen, wo sie mit großen Augen David Bowie begegnen. Diese Art Glamour wollen auch Queen! Doch schon beim Debütalbum kommt es zum ersten Streit mit den Produzenten, während der Arbeit an dem epochalen Album „A Night At The Opera“ explodieren die Spannungen zwischen Band und Management. Im Opener der Platte, „Death On Two Legs (Dedicated To…)“, nennt Freddie Mercury zwar keinen Namen, doch alle Beteiligten wissen, wer mit „König des Abschaums“ oder „Kanalratte, in einer Jauchegrube voller Stolz“ gemeint ist. Ein dröhnender Schlussakkord – und das Ende der Zusammenarbeit zwischen Queen und Norman Sheffield ist besiegelt.

Bei Trident geht es noch eine Weile weiter – mit guten Alben von Peter Tosh, Genesis und Return To Forever. Doch zwischen 1979 und 1981 löst sich die Firma mehr und mehr in ihre Bestandteile auf. Die Siebziger waren vorbei, Punk und die neuen Möglichkeiten der Elektronik hatten übernommen. Im Dezember 1981 wurden die Trident Studios verkauft. Heute sind sie nur noch eine Erinnerung, wie die Tontechniker mit den weißen Laborkitteln. Den C. Bechstein-Flügel aber gibt es immer noch, heute in Privatbesitz, irgendwo in den USA.

Jürgen Ziemer (Rolling Stone)

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