Im Herzen der europäischen Klangkultur

Ein Besuch bei der C. Bechstein Pianofortefabrik. Aus der Vision eines Mannes wurde Europas größter Klavier- und Flügelhersteller.

Als wären sie mit grünem Samt überzogen! Die sanften Hügel der südlichen Oberlausitz künden vom nahen Zittauer Gebirge, dem idyllischen Erholungsgebiet zwischen Deutschland, Tschechien und Polen. Im Dreiländereck liegt auch Seifhennersdorf. Seit 1992 produziert dort die C. Bechstein Pianofortefabrik in den einstigen Räumen der Sächsischen Pianofortefabrik alias Gebrüder Zimmermann. Eine Marke, die Bechstein übernahm und nun für qualitätvolle Einsteigerklaviere steht.

Auf der Fassade der prächtigen Industrie-Architektur von 1911 prangt unter Krönchen „C. BECHSTEIN“. Dahinter: die Manufaktur samt Kompetenzzentrum mit 211 Mitarbeitenden. 220 sind es im nahen tschechischen Hradec Kràlové. In der dortigen Unternehmenstochter C. Bechstein Europe entstehen Klaviere und Flügel der Marke W. Hoffmann. Ebenso ist dort das markenübergreifende Kompetenzzentrum für Oberflächen- und Gussplattenbearbeitung angesiedelt. Auf der deutschen Seite wird der Fokus indes auf Holzbearbeitung und die Fertigung der C. Bechstein Linien gelegt. „Bei uns ist die gesamte Entwicklung und der Modellbau, der Standort wächst“, beschreibt Matthias König, Produktionsleiter in Seifhennersdorf. Doch gleich wo, die Klavierbauer, Ingenieure, Tonmeister und spezialisierte Fachleute für Holz-/Metallverarbeitung/ Oberflächentechnik, haben das gleiche Ziel: bestmöglicher Klang.

Bechstein investiere viel in Aus- und Weiterbildung sowie moderne Fertigungsbedingungen, sagt Klavierbaumeister und technischer Vorstand Werner Albrecht. Er führt durch die Produktionshallen. Geruch von Holz schwebt in der Luft, allerlei Sorten harren der Verarbeitung. „Die meisten stammen aus Europa und nachhaltiger Forstwirtschaft.“ Mit Lacken und Leimen würde umweltschonend, möglichst emissionsvermeidend gearbeitet. Albrecht schildert lebendig, wie von der ersten Form bis zur Intonation ein Instrument entsteht. Die doppelwandige Rast, in der 17 bis 24 ausgesuchte Buchen- und Mahagoni-Schichten verleimt und in Spezialpressen geformt werden. Das monatelange „Reifen“ der Klanghölzer verschiedener Stadien im richtigen Klima der Trockenräume – essentiell für die Tonqualität. Die Gussplatte, die – enorme Zugkräfte der Saiten aufnehmend – den Grundton unterstützt. Das „Herz des Flügels, der Resonanzboden“, in dem feinjährige Bergfichte aus Europas Alpen steckt.

Ralf Dewor, Vorstand Vertrieb, beschreibt die millimetergenaue Grundbearbeitung der Materialien durch computergesteuerte CNC-Maschinen. „Bei der akustischen Anlage, etwa der Ausarbeitung des Spielwerks, ist handwerkliches Können gefragt, wie beim Einpassen der Gussplatte oder Aufziehen der Saiten samt Stimmwirbel.“ König nickt, zeigt das „Steuerbord“. Dort ist täglich dank Magnetbildchen und Namen abzulesen, wer woran arbeitet, in welcher Phase sich Flügel und Klaviere befinden. „Jeder übernimmt Verantwortung – so können wir planen.“ Eine Etage tiefer schlummert der „heilige Gral“ des Klavierbaus, die filzbezogenen Hammerköpfe, die die Saiten zum Schwingen und Klingen bringen. Was sonst Spezialfirmen zuliefern, fertigt Bechstein seit 2015 selbst. Alle Teile sollen optimal harmonieren. Ziel: Innovationen voranbringen. Im Vario Duet trifft sich etwa das Beste aus digitaler und analoger Welt. Ist das Instrument ausgestattet mit Vario Stummschaltung und Kopfhörer, ermöglicht dies, jederzeit zu spielen, ohne andere zu stören.

Reinvestieren, entwickeln, das gehört zur Firmen-DNA. Das tat auch Klavierbaumeister Karl Schulze, als er 1986 Bechstein dem damaligen amerikanischen Eigner Baldwin abkaufte und reorganisierte. Zunächst in Berlin, wo immer noch die Zentrale residiert. Obwohl 1990 die weltweite Klavierproduktion um rund 40 Prozent gesunken war, investierte Schulze in großem Umfang, machte Bechstein wieder zur Aktiengesellschaft. Heute verkauft das Unternehmen jährlich rund 5000 Instrumente, ist nicht nur Klavier- und Flügelhersteller der höchsten Kategorie in rein deutschen Händen, sondern auch der größte Europas.

„Die Chance, eine traditionsreiche Marke und klangvollen Namen wiederzubeleben“, erinnert sich Schulze. Seine Verbindung mit dem Musikhaus Piano-Fischer begann 1968. „Da lief mir Dieter Fischer über den Weg“, schmunzelt er. Miteinander erlernten sie den Klavierbau. Daraus sollte eine Freundschaft und verlässliche Handelspartnerschaft entstehen. „Vertrauen ist die Grundvoraussetzung“, bestätigt Vertriebschef Dewor. „Unsere Instrumente sind nicht überall verfügbar. Herstellen ist eine Sache, präsentieren die nächste, aber verkaufen und vor allem pflegen, da braucht es einen wirklich guten Partner.“ Klavier und Flügel seien nicht nur Produkte, sondern Mehrwert für Alltag, Wohlbefinden und Kultur. „Wir wollen mehr Menschen überzeugen, wie toll es ist, selbst Musik zu machen.“

Christian Fischer, Inhaber des Musikhauses, betont, dass ein Bechstein mit seinem obertonreichen Klang die Mühen des Lernens belohne. „Klavierspielen ist auch üben, auswendig einprägen, zusammenspielen – der Bechstein kommt dem entgegen, er singt, versinnbildlicht europäische Klangkultur.“ Seit über 50 Jahren verließen sich die Partner aufeinander. „So altmodisch es klingt: Das Wort zählt!“ Und der Austausch: Feedback werde auch umgesetzt, so Fischer. Die Mitarbeitenden hörten zu, versuchten, Instrumente stets zu verbessern. Während in der Branche in den 1980ern und 1990ern outgesourct wurde, habe Bechstein die Fertigungstiefe erhöht, unter Schulze eines der modernsten, intelligentesten Werke auf die Beine gestellt. „Eine Erfolgsgeschichte! Bechstein weiß, wie man Flügel und Klaviere baut, Piano-Fischer, wie man sie pflegt und repariert.“

Auch Schulze, der als Bechstein-Vorstand 2014 ausschied, beschreibt, wie ein gutes Instrument Spielende unterstützt. „Gleich welchen Niveaus, es ermöglicht – im individuellen Anschlag – Hör- und Gefühlserlebnisse.“ Das brachte auch den heutigen Vorstandsvorsitzenden Stefan Freymuth dazu, 2012 als Hauptaktionär bei Bechstein einzusteigen. Als Kind habe er zunächst auf mehr schlechten als rechten Instrumenten das Klavierspiel geübt. „Grauenhaft! Dann kam ein Bechstein ins Haus. Ich war überwältigt, welche Klangwelten sich da auftaten! Klavierspielen machte plötzlich Spaß.“ Dies habe ihn geprägt. Über die Jahre verfolgte er die Geschicke der Firma, aus Liebe zum Instrument. Eines seiner Anliegen: Kindern und Jugendlichen den Spaß am Klavierspiel vermitteln. Die von ihm initiierte Carl-Bechstein-Stiftung stellt etwa Grundschulen kostenlos Klaviere zur Verfügung. Der innovative Geist und Ehrgeiz des Gründervaters sei Vorbild und Inspiration.

Carl Bechsteins Spuren, der 1853 in Berlin seine Firma gründete, sind allenthalben präsent. Vertriebschef Dewor bezeichnet ihn als begnadeten Instrumentenbauer und Visionär. „Er strebte nach Exzellenz, schaute, was der Kunde wollte, kümmerte sich um Künstler.“ Seinen ersten Konzertflügel schuf Carl Bechstein 1856. Mit ihm schrieb Hans von Bülow, später Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, Musikgeschichte, als er 1857 Franz Liszts Klaviersonate in h-moll konzertierte. Ein mörderisches Stück, extrem fordernd für das Material! Liszt und Wagner sollten zu Bechsteins ersten Fans werden, unzählige Kunstschaffende folgten … der Rest ist Geschichte. Eine, die weitergeht.