Paolo Fazioli im Interview – „Du kannst jede Nuance spüren“

Paolo Fazioli ist Pianist und Ingenieur – und getrieben von der Idee, den bestmöglichen Flügel zu konstruieren, der jemals gebaut wurde. Seine Augen sind geschlossen, die Gesichtszüge konzentriert. Paolo Fazioli lauscht dem Schluss-Arpeggio von „Claire de Lune“ nach, der wohl bekanntesten Komposition des französischen Impressionisten Claude Debussy. Reich, aber auch ungemein klar schwingen die Töne aus, die er just auf dem Flügel intonierte. Vier dieser Instrumente reihen sich im Konzertsaal seiner Pianomanufaktur aneinander. Die Kuratoriumsmitglieder einer Musikhalle seien gerade im Haus, erklärt Fazioli. „Sie wollen einen Flügel kaufen.“ Nun gelte es herauszufinden, welcher am besten für deren Zwecke geeignet ist. Als Berater mit dabei: Konzertpianist Maurizio Baglini, der für die Käufer die verschiedenen Fazioli-Flügel testet. Mit Jazz, Chopin und Rachmaninov lässt er die Saiten schwingen und teilt dem aufmerksamen Fazioli mit, dass er für das ein Jahr alte Instrument plädieren würde. „Das ältere klingt wunderbar warm. Aber das jüngere ist noch härter, etwas aggressiver, das mag ich.“

Nun ist der Chef selbst wieder an der Reihe, schwärmt von „Claire de Lune“ als „… ideales Stück, um die Klarheit des Klangs zu prüfen – du kannst jede Nuance spüren.“ Langsam, fast zärtlich nimmt er seine Hände von der Tastatur. „Fantastisch!“ Wenn es um die Kraft des Anschlags gehe, die könne man mit Stücken von Chopin, Brahms oder Rachmaninov testen. Für das „Cantabile“ indes, also die Fähigkeit eines Klaviers zu singen, braucht es Adagios von Mozart. „Da gibt es nichts Besseres!“, so Fazioli.

Sein Name steht längst nicht mehr nur bei Musikern und Kennern für höchste Klavierbauerkunst. Dabei ist das Unternehmen ein vergleichsweise junges in der Branche. 1981 gründete es Paolo Fazioli in Sacile, einem 20.000-Seelen-Ort 60 Kilometer nordöstlich von Venedig. Das Hinterland der Lagunenstadt ist berühmt für seine jahrhundertelange Tradition der Holzbearbeitung und die große Kunstfertigkeit seiner Handwerker. Auch bei den Faziolis fing alles mit dem nachwachsenden Rohstoff an. Allerdings in Rom, wo sein Vater Romano mit seinen Brüdern eine florierende Bauschreinerei betrieb, später Möbel produzierte. Ein Musikliebhaber erster Güte, der davon träumte, einmal einen Flügel zu bauen. Aber wegen der Weltwirtschaftskrise blieb es bei Prototypen.

Er sollte nicht mehr erleben, dass Paolo seine Vision verwirklichte, getrieben von der Idee, den bestmöglichen Flügel überhaupt zu konstruieren. „Ich hatte immer einen besonderen Klang im Kopf – und habe kein Piano gefunden, welches diesen speziellen Sound produzieren konnte“, sinniert er. „Mir blieb nichts anderes übrig, als mein eigenes zu bauen.“ Deutlich, gleichmäßig, andauernd, gleichwohl reich sollte dieser Klang unter anderem sein, um polyphonische Werke wie die eines Bachs perfekt darstellen zu können.

Und die Voraussetzungen dafür waren gut: Fazioli hatte ein Ingenieursstudium der Universität Rom in der Tasche und ein Klavierstudium des Konservatoriums von Pesaro. „Ich wollte zunächst Pianist werden, aber ich war mittelmäßig.“ Er lächelt. „Doch das paarte sich dann ideal mit meinem großen Interesse für Naturwissenschaften und einem Hang zur Forschung.“ Er wirkt denn auch eher wie ein Künstler oder passionierter Erfinder: Graue, längere Haare, die immer wieder ins bebrillte Gesicht mit den warmen Augen fallen, die voller Energie und Neugierde sprühen, wenn es um seine Leidenschaften geht, die Liebe zum Flügel und der Musik. „Man darf nie aufhören, etwas zu hinterfragen und immer besser zu werden. Wir versuchen jedes Piano weiter zu perfektionieren – und nutzen dafür immer die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse“, betont er.

Physikalische und technische Studien sind Teil seines Alltags, nicht lockerzulassen, zu forschen und zu optimieren offensichtlich Faziolische Natur, vom Vater geerbt. Einer seiner Brüder stellt erfolgreich Büromöbel her, ein anderer baut erstklassige Boote. Und sie tauschen sich aus, über Techniken und Methoden. Bootsleim etwa muss viel aushalten können – wie Pianos. Für seine Instrumente hat Paolo unter anderem ein viertes Pedal entwickelt. Auf diese Weise verändere sich nicht, wie sonst üblich, die Klangfarbe, wenn man im Pianissimo spiele, dennoch seien die Töne glasklar zu hören. Eines von einigen Alleinstellungmerkmalen, die Fazioli wichtig sind. „Höchste Qualität ist selbstverständlich, aber man muss außerdem Persönlichkeit und Individualität haben, ein eigenes Profil entwickeln“, erklärt er enthusiastisch.

Bei aller Begeisterung strahlt er viel Gelassenheit aus. Er gehe die Dinge kontinuierlich, aber Schritt für Schritt an, beschreibt er. „Die traditionelle Kunst des Klavierbaus muss man respektieren, darf sich aber nicht auf ihr ausruhen, wie auf einer alten Gewohnheit, sondern muss sie voranbringen, mit Bedacht und stets die Folgen bedenkend – beobachten, hören, fühlen, um ein Instrument zu schaffen, dass die ganze Welt beinhaltet.“