Yaara Tal & Andreas Groethuysen im Interview

KLAVIATUR DER MÖGLICHKEITEN

Sie sind eine seltene Spezies auf dem Konzertmarkt: Klavierduos. Kein Schattendasein führen Yaara Tal und Andreas Groethuysen. Das Paar, das Musikkritikern als bestes Meisterpianisten-Duo der Zeit gilt, über Konzepte und Kriterien, Klänge und Klaviere!

Sie haben sich beim Studium kennengelernt. Wie wurden Sie zum Duo?

Tal: Wir waren befreundet, aber zunächst verfolgte jeder seine Solo-Karriere. Andreas’ Agentin hatte eines Tages die Idee, dass wir beruflich und künstlerisch doch möglichst kooperieren sollten. Sie vermittelte ein Konzert für ein Klavier zu vier Händen. Wir dachten zunächst, das wird das erste und eventuell auch das letzte sein.

Sie schmunzeln …

Groethuysen: Ich hatte beruflich das vierhändige Repertoire nie auf dem Schirm, beäugte etwas skeptisch das Konzept. Als wir dann intensiv recherchierten, um ein interessantes Konzert zu programmieren, fanden wir jedoch eine Menge Literatur dazu. Diese war so virtuos, dass wir schnell die Chancen des Projekts erkannten. Und: Es machte doch viel Spaß, gemeinsam zu spielen und zu gestalten.

Musikalische Preziosen fanden Sie auch im Internet. Warum ist gerade in diesem Genre noch viel zu entdecken?

Tal: Es gibt in allen Musikgattungen noch viel Unentdecktes – da sind noch unzählige Schätze zu heben.

Groethuysen: Wir wissen derzeit von etwa 2000 Kompositionen für vierhändiges Klavier und ungefähr 3000 für zwei Klaviere. Professionell vierhändig zu spielen, ist sehr anspruchsvoll. Das unterschätzen viele. Bei höchsten interpretatorischen Maßstäben wird das richtig schwierig: Es braucht einige Jahre, um die letzten Feinheiten heraus zu kitzeln. Das hatten wir uns von Anfang an auf die Fahnen geschrieben. Im 19. Jahrhundert war das vierhändige Spiel populär im privaten Rahmen, um sich u.a. auch symphonische Musik anzueignen. Heute ist das nicht mehr nötig.

Tal: Als Vergleich: Das Streichquartett, das heutzutage in allen großen Konzertsälen vertreten ist, war Anfang des 19. Jahrhunderts auch eine Hausgattung. Diese hat sich emanzipiert. Und es gibt auch Komponisten, wie etwa Gustav Mahler, die bis Mitte des 20. Jahrhunderts nicht vertreten waren auf den Konzertbühnen. Da halfen mehrere Dirigenten mit, bis Mahler in den

Repertoires war. Das mag für das Klavierduo ähnlich sein. Dessen Urstunde lag im 18. Jahrhundert, im 19. Jahrhundert war es eine bürgerliche Sache – jetzt ist es professionell im Werden. Man wird wohl erst in zwei Generationen beurteilen können, wann es sich emanzipiert hat.

Sie beide haben doch viele Lanzen dafür gebrochen?

Tal: Ja, aber nicht alleine. Wir wurden stark unterstützt von unserer Schallplattenfirma Sony Classical. Nie zuvor widmete sich ein Major Label diesem Genre derart – und das seit über 30 Jahren! So lange sind wir exklusiv bei Sony. Dort haben wir fast freie Hand und die Chance zu präsentieren, wie breit gefächert, virtuos, herausfordernd und wunderschön das Duo-Repertoire ist. Mal vierhändig für ein Klavier oder für zwei Klaviere …

Groethuysen: Das ist ein eklatanter Unterschied! An einem Klangkörper sind 20 Finger zugange, quasi ein Spieler mit vier Händen. Das Klangideal: Es soll sich anhören, als würde nur einer spielen. Unser Anspruch ist hier also größtmögliche klangliche und rhythmische Perfektion. Bei zwei Klavieren geht es um ein Gegenüber, das Dialogisieren, so ist das in der Regel auch komponiert. Und weil da zwei kommunizieren, können die Klangkörper auch anders klingen, verschiedene Modelle von verschiedenen Herstellern sein. Ein Vorteil ist: Jeder hat seine eigene Klaviatur und sein eigenes Pedal. Das Repertoire für zwei Klaviere kommt insgesamt virtuoser daher, erfordert mehr Pianistik. Trotzdem ist es schwieriger beim vierhändigen Spiel an einem Klavier ein hohes künstlerisches Niveau zu erreichen.

Tal: Da spielen zwei Individuen! Und jedes hat sein Verständnis, seine Idee vom Stück. Das muss man homogenisieren, weit mehr als bei einem Streichquartett. Am Klavier ist unverzeihlicher, wenn man sich verpasst bei der Tonentstehung. Ein Einschwingvorgang wie bei Streichern oder Bläsern gibt es am Klavier nicht. Da muss das gemeinsame Atmen, das Verständnis noch weiter perfektioniert werden. Sonst kann der Klang zerbrechlich werden oder dumpf bleiben.

Nach welchen Kriterien suchen Sie Kompositionen für Konzerte aus?

Groethuysen: Ein Konzertprogramm zu gestalten ist nicht trivial. Es sollte einen inneren Bogen geben, einen möglichst einleuchtenden Kontext. Ein neues Repertoire, das man sich erschlossen hat, will man natürlich präsentieren. Eine Rolle spielt aber, was wurde wo schon gespielt. Wiederholen möchte man sich ja nicht. Und: Wie groß ist der Saal? Wie viel Anspruchsvolles und Neues kann man dem Publikum zumuten? Das ist von Stadt zu Stadt anders, je nachdem, was dort das Jahr über musikalisch passiert. Schließlich: Bekommt man gute Instrumente?

Was erwarten Sie von einem Flügel?

Tal: Muss der Grundklang eines Flügels mir gefallen? Ich weiß nicht. Aber er muss in der Lage sein, sich zu verändern, so wie ich es erwarte: Der Klang soll modellierbar sein, je nachdem wie ich die Tasten anschlage. Das Instrument muss gut intoniert sein, so dass ich weiß, welche Lautstärke ich bekomme, wenn ich bei einer bestimmten Geschwindigkeit die Tasten berühre.

Groethuysen: Es gibt große Unterschiede bei den Herstellern in Sachen Klangtiefe. Ich suche nach einem Klang, der Fülle und Reichtum in sich hat, der formbar ist. Manche Instrumente sind eher flach, andere haben einen ganzen Bauch im Ton.

Tal: Glockig sollte es sein bei den höheren Tönen.

Groethuysen: Und Brillanz haben, größte Weich- und Sanftheit dazu. Was wie ein Widerspruch klingt, bringen manche Instrumente: Sie haben eine großartige Bandbreite an Ausdrucksmöglichkeiten.

Tal: Beim Klang gibt es ja ganz unterschiedliche Meinungen. Essentiell sind für uns die Gestaltungsmöglichkeiten eines Instruments.

Was bedeutet da die Zusammenarbeit mit Piano-Fischer für Sie?

Groethuysen: Wir kennen uns fast 40 Jahre! Ich trat bei der Konzertreihe für junge Künstler im Stammhaus Schorndorf mit einer Hornistin auf. Dort traf ich Fischers und Faziolis Flügel, die Klarheit, Reinheit und Handwerklichkeit verbanden. Mühelos konnte man darauf Töne herausheben. Daraus wurde eine längere Geschichte, wir haben viel mit Fazioli gemacht, etwa Schubert aufgenommen. Fazioli als auch Fischer sind Familienbetriebe, sie können viel flexibler auf alle Details und Bedürfnisse reagieren. Neben Persönlichem ist das Besondere an den Firmen …

Tal: … die Leidenschaft!

Welches leidenschaftliche Projekt steht bei Ihnen an?

Tal: Wir haben in den vergangenen Jahren CDs mit französischer Musik aufgenommen – nun eine neue, die 2023 erscheinen soll, mit Stücken für zwei Klaviere aus der Romantik. Dabei entdeckten wir die Komponistin Marguerite Mélan-Guéroult, ein echtes Zuckerl!

Petra Mostbacher-Dix